Verantwortung

Keine Sorge, ich werde jetzt nicht zu einer Medienschelte ausholen oder gar von Lügenpresse sprechen. Ganz im Gegenteil, ich glaube, dass seriöse Journalisten eine unheimlich wertvolle Arbeit leisten, indem sie Geschehnisse einordnen, Hintergründe recherchieren und Zusammenhänge erläutern. Ich bin sogar ein Freund des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, trotz vieler unsäglicher Sendungen, die dort gezeigt werden. Aber Brennpunkte, Nachrichtensendungen und Dokumentationen bei ARD, ZDF und den Dritten bieten tatsächlich einen echten Mehrwert.

 

Insofern bitte ich darum, die folgenden Zeilen nicht falsch zu verstehen: Aber manchmal frage ich mich schon, ob alle Journalisten ihrer Verantwortung wirklich gerecht werden. Ich bin zum Beispiel treuer Leser des Münchner Merkurs - einfach, weil er umfassend aus der Region berichtet. Da muss ich nicht mit allem einverstanden sein und die Kommentare von Chefredakteuer Anastasiadis treiben mir manchmal die Zornesröte ins Gesicht. Und obwohl er es in jedem seiner Kommentare zum Ende hin schafft, Merkel muss weg, zu fordern, ist das in Ordnung. Demokratie bedeutet, auch andere Meinungen zu akzeptieren, selbst wenn diese polemisch sind. Auch die Leserbriefseite ist manchmal für mich nur schwer verdaulich - gerade weil immer behauptet wird, hier spräche das echte Volk. (Und aufmerksame Leser meines kleinen Blogs wissen sehr genau, dass der Begriff "Volk" mich immer schaudern lässt. Denn wenn dort "das Volk" spricht, was bin dann ich? Meine Meinung findet sich selten wieder). Wer genau hinsieht, erkennt aber ohnehin, dass das Volk, das sich dort äußert, nur aus einer Handvoll Menschen besteht, die sehr fleißige Leserbriefschreiber sind und ihre teils kruden Ansichten wöchentlich unter die Leserschaft bringen dürfen.

 

In Zeiten allerdings, in denen die Gesellschaft ohnehin kurz vor einer Panik steht, in Krankenhäusern Desinfektionsmittel klaut und Supermärkte leer kauft, sollte man vielleicht zweimal hinsehen, was man so veröffentlicht. Verschwörungstheorie und Verantwortung beginnt zwar beides mit "V", schließt sich irgendwie aber auch aus. Finde ich zumindest. Die Leserbriefredaktion des Merkurs scheint das andersnicht so zu sehen. Anders ist wohl nicht zu erklären, weshalb vorgestern eine Leserzuschrift veröffentlicht wurde, in der "den Regierungen" vorgeworfen wurde, sie hätten den Corona-Virus mit Absicht ausgesetzt, um die Alten und Kranken zu töten. Und tags darauf findet sich eine weitere Lesermeinung, die diesen Unsinn unterstützt. Trägt man als Redakteur der Leserbriefseite nicht eine gewisse Verantwortung? Muss man nicht den Wahrheitsgehalt der Aussagen prüfen (das gilt übrigens auch für die ganzen Leserbriefe der Klimawandelleugner)? Muss man manche Leserbriefschreiber nicht auch vor sich selbst schützen?

 

Ein Journalist trägt in meinen Augen eine sehr, sehr große Verantwortung, gerade in Krisenzeiten. Die Nennung der Herkunft eines Straftäters kann fatale Konsequenzen haben - die Nichtnennung aber auch. Die Entscheidung, eine große Überschrift auf der Titelseite für eine Unfallkatastrophe zu wählen, auch wenn es sich nur um die Gerichtsverhandlung ein Jahr später handelt, kann ein völlig verzerrtes Bild von der Sicherheitslage in unserem Land spiegeln. Und die Verbreitung von Verschwörungstheorien verstärkt eine antidemokratische Haltung, verstärkt Vorbehalte gegenüber Politik und Medien, verstärkt das Gefühl, das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen zu müssen.

 

Deshalb gilt mein Dank all den Journalisten, die sehr verantwortungsbewusst mit ihrem wichtigen Job umgehen. Ohne freie Presse wären wir kein freies Land!