Thüringer Verhältnisse

"Die Geschichte ist der beste Lehrmeister mit den unaufmerksamsten Schülern." (Indira Gandhi)

 

Ja, wenn sie in Geschichte nur aufgepasst hätten, die Nachwuchspolitiker*innen aus Thüringen. Denn Geschichtsbewusstsein erringt man offensichtlich nicht, indem man Plakate aufstellt, auf denen zu lesen ist, man sei der einzige Glatzkopf, der in Geschichte aufgepasst hat. Da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens, mein lieber "Ministerpräsident" Kemmerich von der FDP.

 

Denn Thüringen war schon einmal das Experimentierfeld für neue Bündnisse. 1930 organisierte sich eine Mehrheit aus NSDAP, DVP, DNVP, Thüringer Landbund und der Wirtschaftspartei. Keine dieser Parteien konnte sich als Wahlgewinner bezeichnen, aber gemeinsam reichte es dann doch für eine Mehrheit, die neben dem Landbundvorsitzenden Baum auch Wilhelm Frick von der NSDAP als Innenminister an die Macht spülte. Die sog. bürgerlich-konservativen Kräfte dachten schon damals, sie könnten die NSDAP als Mehrheitsbeschaffer benutzen - und machten sie dadurch salonfähig und für das Bürgertum wählbar. Und wunderten sich, als Frick den Beamtenapparat säuberte, Zeitungen verbot und einen Erlass "[w]ider die Negerkultur des deutschen Volkstums" erließ. Vermutlich hat Höcke schon ähnliche Dokumente in der Tasche.

 

Jedenfalls kann man so dämlich gar nicht sein, dass man gestern im Landtag in Erfurt nicht mitbekommen hat, welches Spiel die AfD spielt. Und die FDP und die CDU sind sich nicht zu schade, gemeinsame Sache mit Rechtsextremen zu machen, um den ach so bösen Linken zu schaden. Unfassbar - und die Junge Union München bejubelt das in einem Tweet auch noch. Da hilft es übrigens auch nicht, heute großzügig zu verkünden, man werde zurücktreten, irgendwann, wenn der Landtag sich auflöst, oder eine Vertrauensfrage scheitert, oder wenn es halt passt. Der Schaden ist bereits angerichtet: Die AfD kann sich den Mantel der Bürgerlichkeit und Wählbarkeit umhängen, die Demokratie ist beschädigt und ein ausgleichender und rationaler Politiker wie Bodo Ramelow innerhalb seiner eigenen Partei geschwächt.

Allein mit den Stimmen der AfD gewählt zu werden, ist ein Unding und ein Dammbruch für die Stabilität unserer Demokratie. Diese Wahl dann aber auch noch anzunehmen, die Glückwünsche Höckes grinsend zu empfangen, statt aufrecht zu sein, ist nur noch peinlich und traurig. Ich weiß nicht warum, aber FDP-Kemmerich erinnerte mich so ein bisschen an Franz von Papen, eine der dümmsten Figuren der deutschen Geschichte.

 

Der in Historikerkreisen bekannte Geschichtsdidaktiker Jörn Rüsen hat gesagt, man müsse die Vergangenheit kennen, um in der Gegenwart leben und Zukunft gestalten zu können. Kemmerich, Mohring, Lindner, AKK und viele andere aus FDP und CDU sind dazu offensichtlich nicht in der Lage. Extremisten kann man nicht einbinden, die muss man bekämpfen. Geschlossen und gemeinsam, durch alle Demokrat*innen und nicht nur durch die Parteien links der Mitte. Thüringen braucht nun Neuwahlen - und ein Wahlergebnis, das diejenigen stärkt, die Zukunft gestalten können. Und das sind sicherlich nicht Höcke und seine treudoofen bürgerlichen Konsorten.