Mia san mia

Letzte Woche saß mir in der S-Bahn (noch dazu in einer der neu designten, also kuschelig engen) wieder einmal einer meiner Geschlechtsgenossen schräg gegenüber, dessen alpha-männchen-artige Präsenz selbst ich nicht übersehen konnte. Breitbeinig saß er da, die kleine Wampe über den Gürtel hängend, einen Arm lässig über den Sitz nebenan gelegt und den Fußraum des Gegenübers in Anspruch nehmend. "I bin i" - das musste er gar nicht sagen, das strahlte er aus jeder Pore seines durchaus umfangreichen Körpers aus.

Dabei fiel im gar nicht auf, dass die Dame ihm gegenüber verzweifelt einen Platz für ihre Beine suchte, der Sitz neben ihm frei blieb, obwohl die Fahrgäste im Gang standen. Aber warum auch Rücksicht nehmen, Anstand zeigen oder gar sich selbst hinterfragen. Man selbst macht ja keine Fehler.

 

Warum ich über diesen Vorfall berichte? Weil mich dieser Mann so sehr an die Politik erinnerte. Ich werde in letzter Zeit ja öfters mal gefragt, wie ich nur für die SPD kandidieren könne, schließlich könne man da doch nichts werden. Abgesehen davon, dass der Antrieb für gesellschaftliches Engagement nicht unbedingt die Karriere sein sollte, frage ich mich manchmal schon, warum man der SPD nichts mehr zutraut. Immerhin regiert die SPD im Bund und in vielen Ländern insgesamt doch recht erfolgreich, ist die mitgliederstärkste Partei Deutschlands, hat nach einem demokratischen Prozess die Führungsfrage geklärt (was sich AKK, Merz, Laschet, Spahn und Söder sicher auch wünschen würden) und stellt im Bundeskabinett zumindest keinen Andi Scheuer. Die CSU hingegen erinnert mich deutlich an meinen Mitfahrenden in der S-Bahn. "Mia san mia", wir machen keine Fehler, um uns dreht sich Welt.

Dabei ist es die CSU, die seit Jahren den Berliner Politikbetrieb lähmt. Aktuell verhindert eine bayerische Regionalpartei mal wieder eine Reform des Wahlrechts, auf die sich die anderen Bundestagsparteien verständigt haben. Aber die Reformidee könnte die CSU ein paar Mandate kosten - also verhindert man eine Lösung und risikert eine noch größeren Bundestag. Die CSU hat jahrelang wirksamen Klimaschutz verhindert, einseitig auf den indivuellen Autoverkehr gesetzt und halb Bayern zubetoniert - geriert sich nun aber als die Umweltschutzpartei schlechthin. Die CSU hat durch das wunderschöne Isental eine Autobahn gebaut, die sie brachial durchsetzen mussten - und tut nun so, als hätte sie mit der Lärmbelastung nichts zu tun. Die CSU schimpft (zu Recht) über die Fehlbesetzung im Wirtschafts- und Forschungsministerium - und leistet sich einen Andi Scheuer als Verkehrsminister, der nicht nur die Maut versaubeutelt hat, sondern für die Bahn verantwortlich und z. B. auch beim Berliner Flughafen nicht ganz unbeteiligt ist. Es gäbe genügend Gründe, um in Sack und Asche zu gehen. Aber die CSU setzt sich breitbeinig in Berlin, München und Erding auf die Sessel der Macht und tut so, als trüge sie keine Verantwortung für Fehlentwicklungen: Das liegt dann entweder an den anderen Parteien, am Bahnvorstand, an der Regierung von Oberbayern oder wem auch immer.

 

Bei meiner S-Bahn-Fahrt erinnerte mich die junge Dame neben mir, die einen Platz für ihre Beine suchte und immer entschuldigend um sich blickte, wenn sie jemanden versehentlich berührte, ein bisschen an die SPD. Unsicher, eher zu wenig selbstbewusst. Und der feiste Herr, den all das nichts anzugehen schien, der verhielt sich deutlich CSU-like. Wo meine Sympathien lagen, dürfte wohl klar sein.