Der Wutbürger in mir

Es gibt so Tage, da werden so viele Tropfen in das Fass geschüttet, dass es gleichsam überlaufen MUSS. Deshalb bin ich heute einen großen Schritt in Richtung Wutbürger gegangen, oder besser: geschubst worden.

Meine S-Bahn-Karte habe ich heute um 6:01 Uhr gelöst, normalerweise fährt die Bahn aus München um 6:05 Uhr in Erding ein. Heute nicht - als erfahrener ÖPNV-Nutzer weiß man, was das bedeutet. Um 6:23 dann die Durchsage, dass die Bahn um 6:17 Uhr ausfällt. Warum, geht uns natürlich nichts an, auch nicht, ob die Störung größer ist. Aber der Störungsmelder im Internet meldet, die Züge fahren wieder, die App teilt mit, dass die S-Bahn um 6:38 Uhr fährt. Tut sie natürlich trotzdem nicht. Warum kann ich nicht sagen, Informationen bekamen wir wie immer nicht. Aber gute 50 Min. in der Kälte am Bahnsteig sind ja durchaus erfrischend und so ein Stehplatz ab Erding hat natürlich auch seinen Reiz. Und nachdem ich den ganzen Tag nicht aufgetaut bin, habe ich sogar zur Heimfahrt eine S-Bahn früher genommen, Minusstunden habe ich heute eh genügend gemacht. Leider war in Markt Schwaben Schluss mit lustig, alle raus, die S-Bahn fährt wieder zurück nach München. Wie  und ob es weitergeht? Egal, Fahrgäste müssen so etwas nicht wissen. Nach 20 Minuten in der Kälte fuhr dann tatsächlich die nächste Bahn problemlos nach Erding.

Natürlich können Störungen manchmal vorkommen, keine Frage, aber wenn die Störung der Normalfall ist, gibt es strukturelle Fehler. Und wenn wegen der Eingleisigkeit zwischen Erding und Markt Schwaben ständig Züge ausfallen, dann muss man vielleicht auch mal Ursachenforschung betreiben. Und erkennt zum Beispiel, dass seit Jahren an der Infrastruktur im Bahnwesen gespart wird. Deutschland gibt pro Kopf nur einen Bruchteil der Summe Österreichs oder der Schweiz für den Schienenverkehr aus. Und das sind politische Entscheidungen, weil der Automobilsektor bei einer gewissen Partei Priorität besitzt. In Sack und Asche würde ich gehen, wenn ich seit Jahrzehnten in Bund und Land den Verkehrsminister stellen würde. In Grund und Boden schämen würde ich mich, wenn ich diese falsche Prioritätensetzung zu verantworten hätte. Statt massiv in die Schiene zu investieren, werden weiterhin lustig Straßen geplant und Autobahnen durch unersetzliche Naturschönheiten wie das Isental betoniert. Aber der zweigleisige Ausbau der Bahnstrecke Erding-Markt Schwaben, der Ringschluss, die Walpertskirchner Spange? Die Erneuerung von Weichen und Stellwerken? Das geht ganz, gaaanz langsam, wenn überhaupt. Weil jedes rote Band, das man bei einer Straßeneröffnung durchschneiden darf, öffentlichkeitswirksamer ist als eine neue Weiche. Und weil jeder Bürgermeister der Partei der Verkehrsminister vor Ort wichtiger ist als die unzähligen Bahnpendler.

Jetzt ist die Zeit, in der man in Sachen Bahnausbau klotzen und nicht kleckern muss. Das fördert die Wirtschaft, ermöglicht den gewünschten Umstieg auf klimafreundliche Mobilitätsträger und sollte eine Selbstverständlichkeit angesichts der Versäumnisse der letzten Jahre sein. Aber der bayerische Verkehrsminister beschäftigt sich mehr mit seiner Landratskandidatur in Günzburg und der deutsche Verkehrsminister - na, lassen wir das. Immer wenn ich an den denke, denke ich automatisch auch an die legendäre Pressekonferenz von Giovanni Trappatoni. Irgendwas mit Flasche leer...

Jedenfalls sehe ich nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder ich werde Wutbürger und demonstriere jeden Tag vor dem Verkehrsministerium - aber wie gesagt, der Verantwortliche zeigt an dem Thema ohnehin kein Interesse. Oder ich eröffne auf dem Bahnsteig in Markt Schwaben eine Würstlbude - das könnte das Geschäft meines Lebens werden.